Österreichs Weg in die EU
Über einen Zeitraum von 90 Jahren spannt sich der Bogen in Michael Gehlers Buch „Österreichs Weg in die Europäische Union“. Eine Publikation „für ein breiteres Publikum“, so der Autor.
Der gebürtige Tiroler Michael Gehler, der an der Universität Hildesheim Neuere Deutsche und Europäische Geschichte lehrt, beschreibt eine komplexe und wechselvolle Geschichte Österreichs, beginnend mit einem Land, das in den 1920er-Jahren nur über einen geringen außenpolitischen Spielraum verfügte. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Balanceakte zwischen Westorientierung und Neutralität gefragt, wie etwa 1956 bei der Aufnahme in den Europarat und 1960 beim Beitritt zur EFTA. Österreichs erster Versuch sich der EWG anzunähern scheiterte 1967. Bundeskanzler Josef Klaus hatte versucht, ein Assoziationsabkommen mit der Gemeinschaft der damals sechs Staaten abzuschließen. Italien hatte sein Veto eingelegt, Frankreich in Bezug auf Österreichs Neutralität Bedenken geäußert.

Michael Gehler, Österreichs Weg in die Europäische Union. 424 S., 19,90 Euro. Studienverlag Innsbruck-Wien-Bozen 2009.
„Zaghafte Neuansätze“ in der SPÖ-FPÖ-Koalition (1983 bis 1986) wurden in der darauffolgenden SPÖ-ÖVP-Koalition vom „Weg nach Brüssel“ abgelöst, der 1995 im EU-Beitritt Österreichs gipfelte, so Gehler. Der Autor beschreibt Österreich als Mitglied der Europäischen Union mit all seinen Höhe- und Tiefpunkten: die Ratspräsidentschaften ebenso wie die Sanktionsmaßnahmen im Jahr 2000 – und warum das Thema EU zu einem Streitobjekt in der Innenpolitik wurde.
Das Buch erschien 2009, in jenem Jahr, als sich zum dreißigsten Mal die erste Direktwahl zum Europäischen Parlament jährte. Gehler schreibt im Vorwort über die EU-Wahl, die in Österreich am 7. Juni 2009 stattfinden sollte: „Auch in Österreich werden wieder Mandatare direkt ins Europäische Parlament gewählt. Die letzten Urnengänge sind in – schlechtester – Erinnerung, als ich noch in Innsbruck tätig war [bis 2006, Anm.]. Es dominierten Argumente und Inhalte, die sich fern von der Realität und dem Wirken der Europäischen Union bewegten. Es waren austrozentrierte und stark national dominierte Diskurse. Nach der Wahl waren die Kandidaten wieder vergessen, wie sie es zum großen Teil vorher schon waren. Als Historiker, der sich seit über 15 Jahren mit der Geschichte der europäischen Integration befasst hat und insbesondere mit dem Verhältnis Österreichs dazu, waren dies ernüchternde Befunde. Einmal mehr hatte man sich zu fragen, was all die umfangreichen Forschungen, Studien und Werke tatsächlich bewirken können.“
Österreichs Verhältnis zu Europa und zur Integration sei nur vor einem größeren historischen Hintergrund zu erklären und zu verstehen, meint Michael Gehler: „Österreich war und ist kein unterentwickeltes Land an der Peripherie, sondern ein hoch industrialisierter Staat im Zentrum Europas.“ Doch eine Bilanz der österreichischen Außenpolitik von 1945 bis heute [2009, Anm.] falle ambivalent und widersprüchlich aus, auch weil sich die Zielsetzungen verändert hätten, die Erfolge nicht mehr so leicht erkennbar, geschweige denn so einfach messbar seien, so der Historiker. Dennoch zeige die Bilanz viel Positives.
Österreich habe die sich selbst gesetzten Ziele wie Einheit, Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstständigkeit, Neutralität, UNO-Beitritt und die EU-Mitgliedschaft vielfach erreicht, sodass man mit Selbstbewusstsein und Zuversicht Zukunftsaufgaben angehen könne. Gehler nennt dabei unter anderem, dass Österreich Ansprechpartner und Vermittler, wenn nicht sogar Sprecher kleinerer und mittlerer EU-Mitglieder sein könnte, außerdem sollte man Südosteuropa nicht nur als österreichisches wirtschaftliches Interessengebiet, sondern auch als europäischen Verantwortungsraum begreifen. Die EU sollte sich als verteidigungsbereite Sicherheitsunion weiterentwickeln und EU-Europa sollte nicht nur zu einem kulturellen Dialogpartner, sondern auch darüber hinaus zu einem kulturellen Integrationsfaktor werden.