1945
Kriegsende und Neubeginn
Ab Ende März war Österreich Schauplatz teils heftiger Kämpfe. Als die Waffen mit 8. Mai 1945 schwiegen – die deutsche Wehrmacht hatte endlich kapituliert –, amtierte in Wien bereits eine „Provisorische Staatsregierung“. Sie war von den Sowjets eingesetzt worden und hatte am 27. April Österreichs Unabhängigkeit erklärt. Die Republik existierte wieder.
Doch das nationalsozialistische Regime hinterließ Tod, Zerstörung und Chaos. Selbst in den letzten Kriegstagen begingen NS-Fanatiker noch unfassbare Verbrechen. So ermordeten etwa SS- und Volkssturmmänner am 6. und 7. April rund 500 bereits aus dem Zuchthaus Stein entlassene Häftlinge, zumeist politische Gefangene. Annähernd die Hälfte der Unglücklichen wurde noch in der Strafanstalt erschossen, die übrigen im Zuge einer Menschenjagd in Mautern, Hörfarth, Hadersdorf und anderen Orten im Raum Krems.
Die Stunde Null
Neben all dem Schrecken lag das Land buchstäblich in Trümmern. Bahnlinien und Straßen, Industrieanlagen, Dörfer und Städte waren zerstört. Die Güterproduktion stand still und Lebensmittel waren knapp. Neben der eigenen Bevölkerung mussten hunderttausende Vertriebene versorgt werden. Eine Hungersnot drohte. In den sowjetisch besetzten Teilen Österreichs bildeten zudem die Übergriffe der „Russen“ gegen die Zivilbevölkerung einen Quell ständiger Angst.
Getragen wurde der neue Staat von der SPÖ und der ÖVP sowie, auf sowjetischen Druck, der KPÖ. Als Regierungschef („Staatskanzler“) fungierte der alte Sozialdemokrat Karl Renner, ein fintenreicher Politiker und erfahrener Staatsmann. Seine Stellvertreter waren der niederösterreichische ÖVP-Bauernpolitiker Josef Figl, eben erst der NS-Todeszelle entronnen, der SPÖ-Mann Adolf Schärf und der Kommunist Johann Koplenig. Ihn hatten die Sowjets aus Moskau eingeflogen.
Neustart und Wahlen
Die Handlungsmöglichkeiten der provisorischen Regierung waren sehr eingeschränkt, sodass die Wiederherstellung einer ersten Art von Ordnung vielerorts auf Initiative regionaler und lokaler Funktionsträger erfolgte. In Niederösterreich etwa begann der Aufbau von staatlichen Strukturen parallel zur Bildung der „Staatsregierung“ und teils unabhängig von dieser. Bis 11. Mai stellte Leopold Figl einen „Provisorischen Landesausschuss“ (Landesregierung) aus ÖVP-, SPÖ- und KPÖ-Vertretern zusammen. Figl selbst fungierte als provisorischer Landeshauptmann. Umgehend wurde die Verwaltung in Gang gebracht. Männer, die in den Gemeinden bereits Verantwortung übernommen hatten, wurden als Bürgermeister und Gemeinderäte bestätigt oder ersetzt. Auch Bezirkshauptleute wurden in Niederösterreich und dem Burgenland bereits im Mai und Juni 1945 ernannt.
Bis Ende September gelang ein weiterer wichtiger Schritt: Die Vertreter der westlichen, nicht von den Sowjets besetzten Bundesländer erkannten Renners provisorische Regierung an. Die Einheit Österreichs blieb dadurch gewahrt. Das Staatswesen „funktionierte“ jetzt wieder so weit, dass demokratische und freie Wahlen auf Bundes- und Landesebene organisiert werden konnten. Aus der Nationalratswahl ging am 25. November die ÖVP mit 49,8 Prozent der Stimmen und absoluter Mandatsmehrheit hervor. Die SPÖ erhielt 44,6 und die KPÖ lediglich 5,4 Prozent. Im Dezember 1945 wurde Leopold Figl zum ersten Bundeskanzler der Zweiten Republik angelobt.