1955

Der Staatsvertrag

Am 15. Mai wurde der Österreichische Staatsvertrag unterzeichnet. Er legte die Bedingungen fest, die Österreich zu erfüllen hatte, damit im Gegenzug die vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs ihre Truppen abzogen. Denn Österreich war noch immer ein besetztes Land. Erst durch den Staatsvertrag kehrte die Republik in den Kreis der souveränen, also politisch zur Gänze selbstbestimmten Staaten zurück.

Bis es so weit war, hatte es zehn Jahre an Sondierungen und Verhandlungen gebraucht. Denn die USA, Großbritannien und Frankreich auf der einen und die Sowjetunion auf der anderen Seite hatten zwar 1945 Hitler-Deutschland besiegt und Österreich befreit. Was aber die politische Neuordnung Zentraleuropas betraf, waren ihre Interessen sehr unterschiedliche. Zudem rückte Moskau nicht von der Forderung ab, dass Österreich Entschädigung leisten sollte für Schäden und Verluste, die den Sowjets durch den Krieg erwachsen waren.

Wirklich Bewegung kam erst nach Stalins Tod 1953 in die Verhandlungen. Die USA stimmten einer österreichischen Unabhängigkeit 1954 zu, unter der Bedingung, dass das Land außenpolitisch neutral bliebe. Die Sowjets folgten Mitte April 1955, nachdem die österreichische Seite in Moskau Neutralität nach dem Vorbild der Schweiz zugesagt hatte. Auch die Entschädigungsfrage wurde bei dieser Gelegenheit zur Zufriedenheit der Sowjets beigelegt. So konnte vier Wochen später ein euphorischer Josef Figl, seit 1953 österreichischer Außenminister, sein ikonisches „Österreich ist frei!“ verkünden. Vereinbarungsgemäß zogen die Besatzungstruppen, insgesamt noch 50.000 Mann, bis 25. Oktober ab. Am Folgetag beschloss der Nationalrat die immerwährende Neutralität als Verfassungsgesetz.

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Verhandlungen mit den Sowjets: Bundeskanzler Raab und Außenminister Figl mit Mikojan (ganz links) und Molotow (Zweiter von links) in Moskau, April 1955

Endlich frei

Besonders in jenen Teilen Österreichs, die – wie Niederösterreich – unter sowjetischer Kontrolle gestanden waren, atmeten die Menschen auf. Erst jetzt erschien die Gefahr der Sowjetisierung endgültig gebannt. Österreichs Osten würde nicht zur kommunistischen Diktatur („Volksrepublik“) werden, wie dies den östlichen Nachbarstaaten widerfahren war. Ein Szenarium, das aus sowjetischer Sicht in Wahrheit ohnehin nicht erwünscht war. Ebenso hatte die stets präsente Angst, Opfer von Übergriffen sowjetischer Organe zu werden, von der Verschleppung bis zu Vergewaltigung und Totschlag, ein Ende. Mit einer Realität mussten sich die Bewohner Niederösterreichs, Oberösterreichs und des Burgenlandes allerdings arrangieren. Der Norden bzw. Osten ihres Landes lag im Schatten der Zäune und Sperren des „Eisernen Vorhangs“. Den uns heute normal erscheinenden Grenzverkehr, den alltäglichen Austausch und Handel mit den tschechischen, slowakischen oder ungarischen Nachbarn gab es nicht.

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